Rotgelbe Völkerwanderung an die Donau

Manfred Kraus erzählt von der Auswärtsfahrt nach Regensburg


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Strahlend ist der Dreikönigstag aus der letzten der zwölf Rauhnächte erwacht. Ein leuchtender Blauhimmel spannt sich über das Allgäu. Graublau ragen die schneebedeckten Alpen in die Sonne, als hätte sie ein Bildhauer an den Horizont gemeißelt.

Auch über die Lechwiesen flutet das kühle Januarlicht, in dem der Unterallgäuer Bus als erster eines ganzen Trosses eintrifft. Eine rotgelbe Fahne hängt in seiner Heckscheibe. Neben dem Vereinswappen des Eissportvereins Kaufbeuren steht „Unser Leben“. Es dauert nicht lange und schon schlängelt sich gleich einem nicht enden wollenden Lindwurm mehr ein ganzes Dutzend weiterer Omnibusse auf den Landsberger Autobahnrastplatz. Ein atemberaubender Zug sich aneinanderreihender Fahrzeuge. Ausgebucht und vollbesetzt ein jeder.

Die Stimmung steigt. Vorfreude hängt in der glasigen Luft. Ein bisschen Reisefieber vielleicht auch. Fischerhüte in den Kaufbeurer Stadtfarben haben Hochkonjunktur. Carmens improvisierter Gaißnstand wird zum Renner. Es werden Bilder geschossen und Lieder angestimmt. „Der ESV ist mein Verein“, hallt es über die Lechwiesen, ehe der Konvoi endgültig gen Oberpfalz aufbricht, um dem Eissportverein Kaufbeuren bei seinem Auswärtsspiel in Regensburg den Rücken zu stärken. Mehr als eintausend Rotgelbe werden in der Donaustadt erwartet. Wenn die Autobahn in einer langgezogenen Kurve den Blick auf den zwei Kilometer langen Tross freigibt, stellt sich eine Ahnung ein, wie viel Geschick und Aufwand hinter der Gemeinschaftsaktion aller Kaufbeurer Fanclubs steckt.

Erinnerungen werden ausgetauscht. Angeregt kreisen die Gespräche um vergangene Zeiten, um große Spieler, unvergessene Fahrten mit Sonderzügen, das bevorstehende Match bei den Eisbären und die beeindruckende Saisonleistung, die den ESV Kaufbeuren auf den zweiten Tabellenplatz gespült hat. Die angebotenen Handwürste machen ihrem Namen alle Ehre.

Pause in Fürholzen. Die Sonne weckt Frühlingsgefühle. Aus dem Lautsprecher dröhnt laute Musik. Der Rastplatz wird zur Partymeile. Hupende Autos bahnen sich ihren Weg durch ein singendes rotgelbes Meer. Euphorisch sind die Schlachtenbummler. Fröhlich. Friedlich. Verrückt.

In der Holledau überwölkt sich der Himmel. So weit das Auge reicht, wogt über die sanfte Hügellandschaft eine Flut hoher Gerüste für den Hopfenanbau. Die zwischen den Masten gespannten Drähte sind leergezupft. Verstreut liegende Dörfer säumen den Weg. Aus den vorbeiziehenden Autos lugen staunende Gesichter. Immer öfter aber mischen sich Fahrzeuge mit Allgäuer Kennzeichen und geöffneten Fenstern unter sie. Fahnen und Schals wehen im Wind.

Unaufhaltsam rollt die rotgelbe Lawine auf die Bischofsstadt zu, während sich ein sanfter Hauch von Dämmerung anschickt auf den Feiertag herabzusinken. Die Aktienquellen sind versiegt. Es wird lauter. Der Bus singt sich ein. Besungen wird der Stadionbesuch mit Freunden und dass man rot und gelb ein Leben lang sei. Da ragen mit einem Mal die beiden Türme des gotischen Doms St. Peter in den ergrauten Himmel und schon einen Atemzug später taucht in der Nachbarschaft zur Donau das Blau der Arena auf. Ein Kribbeln macht sich breit. Unmerklich und doch unaufhaltsam.

Zuversichtlich zieht die Kaufbeurer Kolonie in die ausverkaufte Eishalle ein. Der Gästeblock platzt im Handumdrehen aus allen Nähten. Entschlossen und leidenschaftlich schwört Matthias, der Bomber, mit Martin und Chris den stimmgewaltigen Besuch aus dem Allgäu auf das Kräftemessen mit den Eisbären ein. Man hält zusammen. Zieht an einem Strang. Brennt für dieselbe Sache. Die ohrenbetäubenden Gesänge verbreiten im Nu eine knisternde Stimmung. Es herrscht Kaufbeurer Heimspielatmosphäre in der mit 4712 Zuschauern vollbesetzten Donauarena. Die gastfreundlichen Regensburger Ordner werden von zwölfhundert Kaufbeurern sprechen, die Eisbärenanhänger in den Internetforen von einer „gigantischen Fanbase“ und „total angenehmen, friedlichen Fans“ mit einem „sensationellen Support, wie man ihn selten bis nie“ in Regensburg erlebt habe. Der Abend schlägt Brücken.

Auch auf dem Eis haben die Gäste die Lage über weite Strecken im Griff. Sie führen, versäumen es aber nach den Toren von Tyler Spurgeon und Max Hops den Sack zuzumachen. Wie aus dem Nichts gleicht der Aufsteiger im Schlussdrittel aus. Ihre Kampfkraft macht die Eisbären gefährlich. Es wird eng. Zwar nicht für lange, aber aufzupassen, das heißt es allemal. Nicht wenigen wurden in Regensburg Punkte abgeknöpft. Die Kurve spürt das. Schüttelt sich. Steht als siebter Mann auf dem Eis. Singt und hüpft. Feuert an. Greift der Mannschaft unter die Arme. Die ackert. Kniet sich in ihre Aufgabe hinein. Nimmt auch im sechsten Spiel binnen fünfzehn Tagen die Herausforderung an und das Heft alsbald wieder in die Hand.  In der Verlängerung zieht Jacob Lagacé unwiderstehlich zum Tor. Torhüter Devin Williams rettet in höchster Not. John Lammers aber lässt sich nicht zweimal bitten. Schnappt sich geistesgegenwärtig den Abpraller. Verzögert. Wartet. Umkurvt den am Boden liegenden Keeper. Ein Schuss. Ein Tor. Ein Aufschrei.

Ausgelassen hüpfen die Spieler über die Bande. Der rappelvolle Gästeblock springt auf und steht kopf. Auch auf den Sitzplätzen werden unzählige Kaufbeurer Schals in die Höhe gereckt. Die Hütte brennt. Mehr als tausend rotgelbe Kehlen stimmen lautstarke Freudengesänge an. Die Joker haben den Eisbären doch noch das Fell über die Ohren gezogen. Lange bleibt die Mannschaft vor ihrem feiernden Anhang stehen. Ein Einklang, der alles ist, nur das nicht: selbstverständlich. Oder doch: in Kaufbeuren schon.

„Das war eine großartige Aktion, zu der viele fleißige Hände beigetragen haben. Im Vorfeld waren wir schon sehr nervös, ob alles klappen würde. Als sich dann auf dem Rastplatz Lechwiesen tatsächlich alle Busse und eine ameisenhaft unüberschaubare Fanschar zur Weiterfahrt versammelt hatten, war das ein genialer Woweffekt. Was die ESVK-Fans durch ihren Zusammenhalt und ihren Gemeinschaftssinn auf die Beine stellen, ist unfassbar. Ich bin unglaublich stolz, Teil dieser geilen Fanszene zu sein“, wird in seinem Rochus-Schneider-Uralttrikot der treue Rotgelbe Humpa später erzählen.

Zunächst aber kratzt er, als die verschworene Gemeinschaft um Kapitän Tyler Spurgeon noch einmal aus der Kabine aufs Eis kommt, die letzten Reste seiner Stimme zusammen. Seinem Sprechgesang antwortet die noch immer überfüllte Gästekurve donnernd. Niemand macht Anstalten, die vom Regensburger Anhang längst verwaiste Donauarena zu verlassen, und es bedarf schon eines Eistanzes von Rückhalt Daniel Fießinger und eines unwiderstehlichen Moonwalks von Joey Lewis, um die begeisterten Kaufbeurer Eishockeyfreunde hinauszubegleiten in die mondhelle Nacht. Wo die Gespräche leiser werden. Und die Stimmung gut ist. Ach was – sie ist ausgezeichnet.

Von Manfred Kraus

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