Rotgelbe Legenden - Eine Serie von Manfred Kraus

Teil 7 über Ladislav Lubina


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Paul Geddes war fort, Dan Daoust ein Reinfall und guter Rat teuer. Denn das war klar: Auf den beiden Ausländerpositionen durfte man sich keine Schwachstelle erlauben. Noch dazu als Aufsteiger, der nach zwei Jahren Abstinenz nur eines im Sinn hatte. Mitmischen. Droben bleiben. Durchstarten.

Und tatsächlich hatten Vorstand Ulf Jäkel, der alsbald zum Präsidenten des Deutschen Eishockey Bundes aufsteigen sollte, Manager Pit Ustorf und Trainer Vladimir Martinec ein schlagkräftiges Team zusammen, das sich im Haifischbecken einer sehr starken Bundesliga behaupten wollte. Das siebzehnjährige Ausnahmetalent Stefan Ustorf erregte Aufmerksamkeit. Daniel Kunce, Frantisek Frosch und Christian Lukes räumten hinten auf und sie setzten auch vorne beeindruckende Akzente. Ken Karpuk kämpfte sich leidenschaftlich in die Herzen des rotgelben Anhangs. Jimbo Hoffmann wusste, wo lohnende Trauben hingen. Rochus Schneider ließ sich von nichts und von niemandem etwas gefallen. Als größte Trümpfe des Neulings aus dem Allgäu aber galten seine Geschlossenheit, seine Ausgeglichenheit, seine Kompaktheit, auf die zwei Kracher aus Nordamerika mit ihrer Erfahrung aus der National Hockey League das i-Tüpfelchen setzen sollten.

Doch weit gefehlt. Während der robuste und schussstarke Mike Millar durchaus hielt, was seine Reputation versprach, brachte nämlich Dan Daoust kaum einen Schlittschuh aufs Eis. Man rieb sich die Augen. Ausgerechnet der mit den Vorschusslorbeeren von 522 vorwiegend für die Toronto Maple Leafs absolvierten NHL-Partien gekommene 31-jährige Stürmer fiel aus dem Rahmen. Er wirkte wie ein Fremdkörper, ließ Ausstrahlung vermissen und das erhoffte Engagement irgendwie auch. Dan Daoust zerriss nichts. Er konnte seine schlummernde individuelle Klasse nicht wecken, dem Kollektiv keine Impulse verleihen. Vielleicht auch wegen einer nicht auskurierten Verletzung. Unter dem Strich jedenfalls blieb sein Transfer ein Missverständnis. „Der frisst bei eis koin Zentner Salz it“, fasste mein Stehplatznachbar die Misere geradeheraus zusammen. Seine Wortwahl war drastisch, sein hartes Urteil treffend, die Ernüchterung groß. Zumal dem Neuzugang ausgerechnet Aufstiegsheld und Publikumsliebling Paul Geddes hatte weichen müssen.

Trikot ESV Kaufbeuren Ladislav LubinaEs bestand Handlungsbedarf. Eine bittere Erkenntnis, der durch überlegtes, aber keinesfalls zögerliches Handeln Rechnung getragen werden musste, führte doch kein Weg daran vorbei, dass der ESVK auch auf seinem zweiten Ausländerplatz zwingend auf eine echte Bereicherung angewiesen war. Man zog die Reißleine. Trennte sich. Brauchte dringend Ersatz. Und bekam ihn. Wie aus dem Nichts. Ladislav Lubina. Ein Wirbelwind. Ach was, ein Orkan. Ein Ereignis. Seine Kufen durchschnitten die gegnerischen Abwehrreihen wie das heiße Messer die weiche Butter. Seine Schüsse zuckten wie Blitze. Das Publikum war hingerissen. Lu-Lu-Lubina, schallte es lautstark von den Rängen. Unentwegt. Begeistert. Hingebungsvoll. Schon wieder eroberte ein Tscheche im Sturm die Kaufbeurer Eishockeyherzen. In Windeseile avancierte er zum Publikumsliebling.

Ladislav Lubina erwies sich als wahrer Glücksgriff mit einer gewaltigen Schubkraft, die durch die Nachverpflichtung des fangsicheren Cestmir Fous auf der ebenfalls vakanten Torhüterposition ihre Vergoldung erfuhr, nachdem der Sensationstransfer des weltberühmten Dominik Hasek von den Chicago Black Hawks zum ESV Kaufbeuren in allerletzter Sekunde geplatzt war und sich auch Gerhard Hegens Rückkehr aus Nürnberg nicht hatte bewerkstelligen lassen. Der aus dem Sauerland geholte Routinier mit tschechischen Wurzeln wurde zum großen Rückhalt und das Mannschaftsgefüge gewann jene Stabilität, die ihm das solide Duo Frank Seithümmer/RolandSeckler nicht hatte verleihen können.

Eigentlich hätte Ladislav Lubina schon im Sommer 1991 an die Wertach wechseln sollen, doch war der Wechsel geplatzt und der tschechische Nationalstürmer, der trotz guter Angebote partout nicht in die National Hockey League wollte, zum mittlerweile finanziell klammen finnischen Verein Reipas Lahti ausgewichen. Jetzt aber fügte sich doch noch eines ins andere und es wuchs zusammen, was zusammengehörte. Der Vollblutstürmer schlug beim ESVK mit Urgewalt ein und er sorgte in der Bundesliga für Furore. Im Frühling 1992 landete Ladislav Lubina bei der deutschlandweiten Leserwahl der Fachzeitung Sportkurier in der Rubrik der beliebtesten Ausländer mit minimalem Rückstand hinter dem Sieger Dale Derkatch auf Platz zwei und sein Vorsprung auf die herausragenden Akteure Benoit Doucet, Jiri Lala, Chris Valentine, Wally Schreiber, Jayson Meyer und Frantisek Prochazka war riesengroß. Ein kleiner Adelstitel für den neuen Kaufbeurer Liebling.

Allein in der Doppelrunde erzielte er achtunddreißig Treffer in siebenunddreißig Spielen. Er sprang in der Torschützenliste denkbar knapp hinter Didi Hegen von der Düsseldorfer EG und dem Rosenheimer Dale Derkatch auf den dritten Platz, obwohl er erst deutlich später als die Konkurrenz in die Bundesligasaison eingestiegen war. Das Publikum lag Ladislav Lubina zu Füßen. Der Blitz aus Pardubitz löste Begeisterungsstürme aus, er setzte Glanzlichter, wurde in einem Atemzug mit den Großen genannt. Donnernd skandierte das Publikum immer wieder seinen Namen. Den Hauptrundenvierten Berliner SC Preußen schoss er beim famosen 10:3 mit einem Hattrick ab, Mannheim und Landshut knackte er per Doppelpack und auch in den ultraspannenden Abstiegsplayoffs gegen die Niederbayern jagte er dem Erzrivalen wahre Schauer über den Rücken.

Grund genug, die Dramatik der fesselnden Serie aus dem Februar und März 1992 im Zeitraffer an uns vorbeiziehen zu lassen. * Spiel eins. Kaufbeuren. Ein Krimi. Volle Hütte. Der Berliner Platz brennt. Trotzdem liegen wir hinten. Eins drei und drei fünf. Dany Held aber verkürzt und Stefan Ustorf gleicht aus. Als Cestmir Fous schon auf die Bank gefahren ist. In der letzten Minute. Bei sechs gegen fünf. Verlängerung. Nervenzerfetzende Spannung. Es geht rauf und es geht runter. Nach zwölf Minuten aber haut Ladislav Lubina das Ding in die Maschen. Rochus Schneider und Stefan Ustorf haben ihn freigespielt. 6:5. Die Halle wird zum Tollhaus. * Spiel zwei. Landshut. Ein Drama. Schiedsrichter Uwe von de Fenn aus Grefrath verwehrt vier Kaufbeurer Treffern die Anerkennung. Auch dem letzten, der mit der Schlusssirene den Ausgleich gebracht hätte. Wir schießen neun Tore, verlieren aber das Spiel 5:6, Jimbo Hoffmann mit Spieldauer-, Ken Karpuk mit Matchstrafe. * Spiel drei. Kaufbeuren. Es brodelt. Der Berliner Platz ist voll bis unter die Decke. Ein Kraftakt. Nach dem ersten Drittel 2:3. Dann drehen wir die hartumkämpfte Partie. Führen knapp mit einem Tor. Eine Minute vor Schluss die endgültige Erleichterung. 6:4. Aufatmen. Durchschnaufen. Wir sind wieder im Soll. * Spiel vier. Landshut. Der Wahnsinn. Es knistert. Sechs Minuten vor dem Ende liegen wir drei zwei hinten. Geraten zudem in Unterzahl. Auch das noch. Landshut drängt auf die Entscheidung. Da gleicht Frantisek Frosch aus. In Unterzahl. Drei drei. Das Spiel steht auf Messers Schneide. Zwei Minuten vor dem Ende haben die Niederbayern erneut einen Mann mehr auf dem Eis. Und sie treffen. 4:3. Gegen uns. Wir sind ernüchtert, bestürzt, entsetzt, vor den Kopf gestoßen. Das Spiel scheint verloren. Der ESVK aber gibt nicht auf. Er stürmt mit Mann und Maus. Drängt vehement auf den Ausgleich. Welle auf Welle rollt auf Englbrecht zu. Die Uhr aber läuft gegen uns. Noch vierzig Sekunden. Noch dreißig. Noch zwanzig. Wir sind in Rückstand. Die Zeit, sie verrinnt. Noch dreizehn Sekunden. Da trifft Jimbo. Der Gästeblock explodiert. Wir springen auf wie ein Mann. Die Wände wackeln. Alles ist wieder offen. Landshut geschockt. Verlängerung. Unglaublich. Schon wieder Verlängerung, schon wieder kulminiert der Nervenkitzel in einem Herzschlagfinale. Nach drei Minuten aber geht Mike Millar durch. Über rechts. Gleich unterhalb unserer Stehtribüne. Er holt aus und drischt die Scheibe ins Tor. Ansatzlos, wuchtig und hart. Ein Strahl. Der Puck zerfetzt schier das Netz und die Spannung zerbirst in einem Aufschrei. 5:4 nach Verlängerung. Für uns. Ausgelassen feiert die Mannschaft auf dem Eis, der Gutenbergweg wird zum rotgelben Meer. Noch auf der Autobahn weht unsere Fahne aus dem offenen Fenster des Autos. * Spiel fünf. Kaufbeuren. Restlos ausverkauft. Die Erlösung. Der Berliner Platz erzittert, als die Steine von den rotgelben Herzen purzeln. Nie mehr, nie mehr, nie mehr zweite Liga, donnern die Freudengesänge von den prallvollen Rängen. 6:4. Das Abstiegsgespenst schleicht davon. Wir sind durch. Sind oben geblieben. Und das ausgerechnet gegen Landshut.

Vierzig Tore versammelte Ladislav Lubina schließlich auf seinem Konto und auch in der Scorerwertung behauptete sich der neue Liebling der Massen, obwohl er erst verspätet ins Rennen gegangen war, auf dem vereinsinternen zweiten Platz hinter dem großartig mit ihm harmonierenden Mike Millar. Auch in der Folgesaison verzückte Ladislav Lubina das fachkundige Kaufbeurer Publikum mit seinem berauschenden Antritt. Er wies dem von Coach Pit Ustorf angeleiteten Jugendstil die Richtung und führte den ESVK auf einen sicheren Playoffplatz. Tief verankert im Gedächtnis jenes phantastische Dienstagabendspiel spät im Oktober 1992, als der einsame Spitzenreiter Düsseldorfer EG mit atemberaubenden 28:0 Punkten und einer saisonübergreifenden Serie von sage und schreibe siebenundzwanzig Siegen am Stück mit 2:6 am Berliner Platz baden ging und Fassungslosigkeit im Gesicht von Düsseldorfs Erfolgstrainer Hans Zach stand.

Zwei Jahre lang verzauberte Ladislav Lubina Kaufbeuren, ehe ihn ein Foul schwer verletzte und aus der Bahn warf. Er wurde nie mehr der Alte.

 

Ladislav Lubina

Geboren: 11. Februar 1967 in Dvur Kralove nad Labem

Körpergröße: 185 cm

Rückennummer: #10

Position: Außenstürmer

Bundesliga für den ESVK: Oktober 1991 bis Oktober 1993 * 91 Spiele, 58 Tore, 36 Assists (darunter elf erfolglose Partien im Herbst 1993 nach schwerer Verletzung)

International: 70 Länderspiele für die Tschechoslowakei und Tschechien

Größte internationale Erfolge: Olympische Bronzemedaille in Albertville 1992, WM-Bronze 1990, 1992, 1998 (die beiden Turniere 1992 als aktueller Spieler des ESVK)

Größte Erfolge in der Heimat: Tschechoslowakischer Meister 1989 mit Tesla Pardubice, Torschützenkönig 1991, tschechischer Vizemeister 1998 mit Zelezarny Trinec und 2003 mit dem HC Pardubice

Trainer: Ab 2006 fand Ladislav Lubina seinen Platz hinter der Bande

 

Text: Manfred Kraus, Apfeltrach
Grafik: Manuel Ort

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