Rotgelbe Legenden - Eine Serie von Manfred Kraus

Teil 14 über Luggi Schuster


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Frisch gezapft stand das Pausenbier auf seinem Stammplatz in der Stadiongaststätte Puck. Eine dichte weiße Blume ruhte cremig auf dem kühlen Gold. Luggi Schuster lächelte. „Natürlich bin ich heute da. Ich bin bei jedem Spiel da. Das geht ja gar nicht anders“, sagte er dann verschmitzt und kameradschaftlich klopfte er mir auf die Hand. Beinahe beiläufig hatte der große alte Mann des Kaufbeurer Eishockeys meine Frage beantwortet, als hätte ich mich nach einer Selbstverständlichkeit erkundigt. Dabei war sie nicht ohne Bedacht gestellt, die Frage nach seinem Stadionbesuch. Schließlich zählte der Dauerkartenbesitzer zweiundneunzig Lenze und der Berliner Platz wurde seinem Ruf als Eiskeller an diesem Winterabend ganz besonders gerecht. Das aber tat nichts zur Sache, denn Luggi Schuster war hart im Nehmen. Ein Urgestein eben. Standhaft. Unverrückbar. Unbeugsam. Ein Fels. Das bisschen Kälte konnte ihm nichts anhaben. Da musste der Winter schon schwerere Geschütze auffahren.

Luggi Schuster und der ESV Kaufbeuren, das war eine unendliche Geschichte, denn Luggi Schuster war ein Teil des ESV Kaufbeuren und der ESV Kaufbeuren war ein Teil von Luggi Schuster. Wie kein anderer symbolisierte er den Eissportverein von der Wertach, in den er sich von allem Anfang an mit Herzblut und Tatkraft eingebracht hatte. Luggi Schuster, das Gründungsmitglied, der Spieler, der Trainer, der Macher, der Anhänger. Ein Leben für, ein Leben mit dem ESVK, den er mitgestaltet und mitgeprägt hatte seit dem Augenblick, als der Eissportverein Kaufbeuren in den Wirren der Nachkriegszeit zum Leben erwacht war und auf dem Eisweiher im Jordanpark das Laufen gelernt hatte.

Luggi Schuster war ein leutseliger und umgänglicher Mensch. Ein Kumpeltyp, mit dem man zum Pferdestehlen gehen würde. Aber auch eine Respektsperson. Geachtet. Anerkannt. Geschätzt. „Seine Entscheidungen wurden nie infrage gestellt“, betont sein Sohn Manfred, der es zum Nationalspieler gebracht hat und als rotgelber Jahrhundertverteidiger wie nur wenige für die unvergleichlichen Erfolge der goldenen Achtziger steht, „und seine ehemaligen Spieler, egal welchen Alters, sprechen noch heute sehr respektvoll von ihm. Selbst wenn sie früher einmal verbal etwas härter angefasst wurden. Mein Vater wusste zu jeder Zeit, wie er mit Menschen umzugehen hatte.“

Schloss Mattsies befand sich im Besitz des Prinzen Karl von Arenberg, als Ludwig Schuster am 17. Oktober 1924 auf der idyllisch gelegenen Wehranlage nahe Mindelheim zur Welt kam. Droben in der Abgeschiedenheit einer bewaldeten Bergnase. Seine Mutter hatte in dem romantischen Märchenschloss, das seine Wurzeln im Hochmittelalter hat, heute aber unaufhaltsam dem Verfall preisgegeben und in einen tiefen Dornröschenschlaf gefallen ist, eine Anstellung inne. Der kleine Ludwig war vier, als die Familie anno neunundzwanzig nach Kaufbeuren zog, wo er auf dem Kaiserweiher und auf dem Eisweiher der Brauereien seine ersten Schritte auf Eis tat. Nach seinem Schulabschluss absolvierte er bei der Firma Markthaler seine Ausbildung zum Maschinenbauer und es dauerte nicht lange, bis er auch seinen Meister machte. Im Nachkriegsjahr 1946 nahm Luggi Schuster schließlich eine Stelle bei der mittlerweile längst aufgelassenen Brauerei zum Schiff an, um dort alsbald die Schlosserei zu leiten und für den gesamten Maschinenpark zuständig zu sein. Seine ganze Liebe aber gehörte dem Eishockeysport, dem er sich voller Hingabe widmete. Als Gründungsmitglied und als Verteidiger.

„Schau, das habe ich dir mitgebracht“, sagte der ergraute Mann mit den wachen Augen, als wir im Puck einen Schluck Bier genommen hatten, und mit einem Griff in seine Manteltasche kramte er eine vergilbte Fotographie hervor. „Die Aufnahme stammt aus den Anfängen des ESVK. Siebenundvierzig. Nimm sie ruhig heim und mach dir eine Kopie davon. Bring sie halt beim nächsten Heimspiel wieder mit.“ Dann drückte er mir den einmaligen historischen Bildschatz in die Hand und er hob an, von einer Zeit zu erzählen, als das Kaufbeurer Eishockey in seinen Kinderschuhen gesteckt, aber auch Sport in seiner reinsten Ausprägung geboten hatte. „Das Training fand statt, sobald der Eisweiher gefroren war und wir Eis spritzen konnten. Georg Leitner war unser erster Vorstand. Er hat die Leute zusammengetrommelt. Mit Schalbrettern haben wir dann auf dem Weiher eine niedrige Bande zusammengezimmert. Unsere dürftige Ausrüstung war geradezu abenteuerlich, aber wir haben das Beste daraus gemacht und diese Stück für Stück in Eigenarbeit ergänzt. Besonders wichtig war uns, dass wir endlich nicht mehr Kufen an die Winterschuhe schrauben mussten, sondern in Eishockeyschlittschuhen spielen konnten.“

Der großgewachsene Luggi Schuster war Dreh- und Angelpunkt in der Verteidigung. Sein Freund Fritz Sturm, der den ESVK auch mit aus der Taufe gehoben und dann im Angriff die Fäden gezogen hatte, schwärmte in höchsten Tönen von Luggis Standfestigkeit und seiner Übersicht. Er rühmte ihn als Turm in der Schlacht. Bis ins hohe Alter fühlten sich die beiden Männer der ersten Stunde ihrem ESVK eng verbunden. Wäre man ausgezogen, um zu lernen, was Treue bedeutet, hätte kein Weg an ihnen vorbeigeführt.

Ein ganzes Jahrzehnt schnürte Luggi Schuster die Schlittschuhe für den jungen ESV Kaufbeuren, ehe er sie 1955 an den Nagel hängte. Doch begab er sich anschließend keineswegs auf das sportliche Altenteil. Vielmehr fand er seinen Platz neben und hinter der Bande. Er war Jugendwart, Betreuer, Jugendtrainer, Juniorentrainer und zu den Zeiten des legendären Florian Strida auch Co-Trainer der ersten Mannschaft. Zudem half er im benachbarten Bad Wörishofen für zwei Jahre als Übungsleiter aus.

Damit aber nicht genug. Über das Sportliche hinaus oblag Luggi Schuster im Kaufbeurer Stadion jahrelang auch die Betreuung der Maschinen – ein weiteres Ehrenamt, das sich durch Verbindungen bei der Schiffbrauerei ergeben hatte, wo auch Karl Hubner, Vater von Nationalspieler Manfred Hubner und Mitglied der ESVK-Führungsriege, als Braumeister arbeitete. Da lag es nahe, beim Maschinenbaumeister Luggi Schuster nachzufragen, ob er sich um die Anlage im Stadion kümmern und alljährlich im August die Eisbereitung überwachen könnte. Er übernahm auch diese Aufgabe. Natürlich übernahm er sie.

Luggi Schuster lebte Eishockey. Er war einfach alles beim ESVK und der ESVK war alles für ihn. Wenn die sangesfreudigen Fans heute auf der Tribüne stimmgewaltig ihre Leidenschaft in die Zeile „rot und gelb ein Leben lang“ kleiden, dann trifft das gewiss auf viele zu, aber auf niemanden so sehr wie auf den betagten Herrn, der drüben am Berliner Platz in der obersten Sitzplatzreihe vor dem Gästeblock seinem ESVK die Daumen drückte. Rot und gelb ein Leben lang, dieser Satz war Luggi Schuster wie auf den Leib geschneidert.

Dem rührigen Eissportverein aus dem Ostallgäu wurde nie etwas geschenkt. Stein um Stein musste er sich hart erarbeiten für den Bau des Hauses ESVK, das seit jeher auf dem festen Fundament der berühmten Kaufbeurer Nachwuchsarbeit aufbaut. Das Gründungsmitglied Luggi Schuster hat auch da tatkräftig angepackt und segensreich gewirkt. Von 1956 bis 1993 war er in der Talentschmiede tätig. Ehrgeizig. Zielstrebig. Erfolgreich. Die Weiterentwicklung der jungen Spieler lag dem eishockeyverrückten Fachmann am Herzen und es nimmt nicht wunder, dass er dabei auch seine beiden Söhne unter seine Fittiche nahm. Manfred, den jüngeren der beiden hochtalentierten Schusterbuben, trainierte er in der Jugend und bei den Junioren, nachdem er schon zuvor mit Gerhard einen der größten Augenblicke der Vereinsgeschichte erlebt hatte. Die Schwarzweißaufnahme, auf der sich der Vater und der Sohn zusammen mit Fredl Hynek und der ebenso abgekämpften wie glücklichen Juniorenmannschaft im Garmischer Olympiaeisstadion zum Meisterfoto aufstellen, gleicht einer Ikone der vorbildlichen Kaufbeurer Nachwuchsförderung.

In einem ausführlichen Sportkommentar der Kaufbeurer Lokalzeitung rühmte Walter Kurock seinerzeit das Einfühlungsvermögen und das sportliche Können von Trainer Fredl Hynek und Betreuer Luggi Schuster, auf deren Wirken er die hervorragende Entwicklung des Juniorenteams ursächlich zurückführte. „Sie kommen bei den Jugendlichen an, gehören zur Gemeinschaft“, fuhr der Sportredakteur in seiner Einschätzung fort, „das spricht für ihr pädagogisches Talent. Wenn die Junioren eine verschworene Gemeinschaft sind, dann doch wohl nur deswegen, weil man sie richtig angefasst hat. Fredl Hynek und Luggi Schuster sind alte erfahrene Eishockeyspieler und verstehen etwas von ihrem Fach.“

Es gehört zu den Tragödien des Lebens, dass allein im Jahr 2016 drei der phantastischen einundsiebziger Meisterjunioren für immer von uns gegangen sind. Fritz Füller. Franz Klöbel. Gerhard Schuster. Ihr früher Tod hat die Kaufbeurer Eishockeyfamilie erschüttert.

Die Drittelpause ging zu Ende. Wir brachen auf. Verließen den Puck. Gingen hinaus in die Kälte. Während Luggi Schuster seinem Platz vor dem Gästeblock zustrebte, trug ich die siebzig Jahre alte Originalfotographie der rotgelben Urmannschaft, die mir der Altvater des Kaufbeurer Eishockeys soeben anvertraut hatte, bei mir. Ich hütete ihn wie einen Schatz und brachte ihn zum nächsten Heimspiel wieder mit. Luggi Schuster war da.

Der leidenschaftliche Golfer war vom Berliner Platz nicht wegzudenken und er besaß auch im neuen Eisstadion wieder einen Stammplatz. Mit vierundneunzig. An der Seite seines Sohnes Manfred, der als ausgewiesener Stehplatzbesucher fortan neben seinem Vater saß. Wie gut hätte da auch noch Gerhard dazu gepasst. Dann wären sie nebeneinander in einer Reihe gesessen, die drei Luggis. Das Leben hat anders entschieden.

Am 25. Mai 2019 ist Luggi Schuster verstorben. Hochbetagt. Ein Herzblutrotgelber bis zum letzten Atemzug. Es bleibt die Erinnerung an eine treibende Kraft. An ein Vorbild. Einen Macher. Eine Legende. Der ESVK hat zu ihm und er hat zum ESVK gehört. Es muss mehr sein als Treue, das sie verband, den Eissportverein von der Wertach und sein Gründungsmitglied. Luggi Schuster – mehr ESVK geht nicht.

 

Ludwig Schuster

Geboren: 17. Oktober 1924 auf Schloss Mattsies nahe Mindelheim

Gestorben: 25. Mai 2019 in Kaufbeuren

Position: Verteidiger

Rückennummer: #5

ESVK: Gründungsmitglied 1946, als Verteidiger Turm in der Schlacht von 1946 bis 1955, von 1955 bis 1993 bei seinem ESVK an allen Ecken und Enden tätig, große Erfolge als Förderer des Nachwuchses

Die Kaufbeurer Urmannschaft des Jahres 1946: Helmut Posselt, Albrecht Schmid, Luggi Schuster, Fritz Sturm, Max Mayer, Sepp Wannemacher, Gerhard Schmid, Franz Maurer, Heinz Krikorka, Hermann Geg, Max Amann, Georg Leitner und Walter Mayer, ab dem Winter 1947 Anderl Karg, Joschi Androsch, Bruno Pfeifer

 

Text: Manfred Kraus, Apfeltrach
Grafik: Manuel Ort

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