Rotgelbe Legenden - Eine Serie von Manfred Kraus

Teil 8 über Manfred Schuster


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Sprechen wir von Manfred Schuster, der, um nicht lange um den heißen Brei herumzureden, mehr war als ein Nationalspieler, nämlich ein Vorbild und eine herausragende Spielerpersönlichkeit. Wo aber anfangen? Wo aufhören? Bei einer Geschichte, deren Vielschichtigkeit sich nicht auf ein paar Seiten festhalten lässt. Ich habe es probiert. Es geht nicht. Deshalb vertraue ich auf die Wirkung von Bildern. Elf an der Zahl, die gleich Schnappschüssen Eindrücke vermitteln und nicht mehr sind als Fragmente, sich aber vielleicht trotzdem zu einem Ganzen zusammenfügen lassen. Wofür es indessen der tatkräftigen Unterstützung des Lesers bedarf. Schließlich ist es an ihm, sich aus den Gedanken selbst ein Gesamtbild zu formen. Nun gut. Fangen wir also an. Und sprechen wir von Manfred Schuster, den Spross einer bekannten Kaufbeurer Eishockeyfamilie, der zu einem sprichwörtlichen Teil der berühmten Stadtmauer wurde, ins Kaufbeurer Jahrhundertteam einging und wohl der bemerkenswerteste Mannschaftskapitän in der langen Tradition des Eissportvereins Kaufbeuren gewesen ist.

Erstes Bild. Auf Schlittschuhen von Kindesbeinen an. Schon im Nachwuchs sticht sein Talent ins Auge. Der Bruder ein pfeilschneller Außen. Sein Vorbild. Der Vater ein eishockeybesessenes Urgestein. Gründungsmitglied anno 46. Auch als Spieler ein Mann der ersten Stunde. Nachwuchsförderer, Trainer und Macher. Dem Eissportverein Kaufbeuren ein Leben lang aufs Engste verbunden. Noch mit weit über neunzig Dauerkarteninhaber. Eishockeyverrückt. Rotgelbverrückt. Mehr ESVK geht nicht.

Zweites Bild. Kaufbeuren. Berliner Platz. Vierzig Jahre ist das nun her. Der ESVK ist in die Bundesliga aufgestiegen. Wieder einmal. Diesmal aber soll alles ganz anders werden, besteht doch die begründete Hoffnung, dass der aufstrebende Neuling aus dem Allgäu kommt, um zu bleiben und endlich sein Image als Fahrstuhlmannschaft abzustreifen. Natürlich werden auch Zweifel gehegt, in die aber streut eine ganze Schar hochtalentierter Himmelsstürmer ein gerüttelt Maß an Zuversicht. Allesamt sind sie Eigengewächse aus der Talentschmiede Kaufbeuren. Sie haben die Bundesliga vor Augen, die Zukunft im Blick. Und sie besitzen Potential. Es ist die Geburtsstunde der goldenen Generation. Gerhard Hegen, dessen Torhütertalent sich mit der Routine des Robert Merkle vortrefflich ergänzt, die blutjungen Rainer Lutz, Robert Hammerle, Didi Hegen, dazu die nur unwesentlich älteren Beppo Riefler, Arnim Kauer und Horst Heckelsmüller. Auf den Ausländerpositionen sollen es –weil der eskalierende Kalte Krieg die bereits weit fortgeschrittenen Verhandlungen mit Prago Sport auf Eis gelegt hat– mit dem unverwüstlichen Marathonmann Mike Zettel sowie dem robusten und NHL-erfahrenen Bill Lochead, der alsbald an die Stelle seines glücklosen Landsmanns Don Langlois getreten ist, die Kanadier richten. Auch an der Bande, wo eine schillernde Figur steht, deren Zeit bereits abgelaufen schien. Mike Daski. Meistertrainer im Isarwinkel. Sechsundsechzig war das. Markenzeichen karierter Hut und unorthodoxe Methoden. In Tölz hat er einst seinen Schlussmann Toni Klett mit Hosenträgern an die Querlatte gebunden, um ihm beizubringen, bei Schüssen nicht voreilig auf die Knie zu gehen. In Kaufbeuren bündelt er, wenn Gefahr in Verzug ist, kurzerhand die Kräfte seiner dünn besetzten Abwehr. Soll heißen: In besonders kritischen Phasen spielen schlicht und ergreifend die drei stärksten Verteidiger durch. Einer bleibt auf dem Eis, einer geht, einer kommt. Das erscheint fragwürdig und ist ganz und gar in der Wirkung des Augenblicks verhaftet, aber es bringt manche Bedrängnis über die Bühne. Weil die Protagonisten ackern wie die Berserker. Unverrückbar stehen wie der Fels in der Brandung. Den Sieg festhalten. Mit bedingungsloser Einsatzbereitschaft, mit immenser Kampfkraft, mit glühender Leidenschaft. Einer von ihnen: Manfred Schuster. Zweiundzwanzig und längst eine Schlüsselfigur.

Drittes Bild. Knapper Rückstand. Die Minuten verrinnen. Der Berliner Platz brodelt, der Berliner Platz bangt. Es wird eng. Jetzt muss ein Tor her. Weshalb Trainerfuchs Florian Strida, der die hohe Spielkultur des osteuropäischen Eishockeys ins Allgäu gebracht hat, seine großen Trümpfe aufs Eis schickt. Vorne den unvergleichlichen Didi Hegen mit den beiden Weltklassetschechen Vladimir Martinec und Bohuslav Stastny, an die blaue Linie Dino Medicus und Manni Schuster. Dort gehören sie auch hin, denn sie sind im besten Wortsinn, was der ESVK in diesem Augenblick braucht. Blueliner. Gesegnet mit einem gewaltigen Schlagschuss, der einer Waffe gleichkommt und zudem die Bandbreite taktischer Überlegungen ungemein weitet. Gerade jetzt, da die Scheibe wieder im Spiel ist und traumhaft über das Eis wandert, um schließlich zentimetergenau herüber gelegt zu werden. Wo der Dreier schon wartet, mächtig ausholt und den Puck hoch ins Kreuzeck zimmert, als gelte es, das Netz zu zerfetzen. Als Direktabnahme, versteht sich. Niemand, wird Manfred Schuster später einmal sagen, habe ihm mehr Tore maßgerecht serviert als Didi Hegen, dass das alles aber nicht von allein gekommen sei. Gerade den Direktschuss müsse man trainieren, bis einem die Arme abfallen.

Viertes Bild. Manfred Schuster. Das C auf der Brust. Er ist ein Könner, sich aber trotzdem für keine Drecksarbeit zu schade. Stets übernimmt er Verantwortung. Auf dem Eis und hinter den Kulissen auch. Er identifiziert sich mit Haut und Haaren mit seinem ESVK. Ein Mann, wie geschaffen für das Amt des Kapitäns. Er geht als Vorbild voran, führt das Team, nimmt seine Mannschaftskameraden mit auf den Weg. Fairness und Besonnenheit zeichnen ihn aus. Auch in hitzigen Situationen. Ein untadeliger Sportsmann durch und durch. Selbst als im Frühling vierundachtzig Tabubrüche außerhalb des Vorstellbaren dem ESV Kaufbeuren den Einzug ins Bundesligafinale rauben, lässt er sich nicht gehen. Manfred Schuster besitzt Größe und Stil.

Fünftes Bild. Grenzenloser Jubel. Die Festung Berliner Platz wird zum Tollhaus. Freudengesänge erschallen. Donnernder Applaus. Die Menschen liegen sich in den Armen. Ehrenrunde um Ehrenrunde dreht die Mannschaft. Sie steht wieder im Halbfinale. Verwandelt die Achtziger mit märchenhaften Erfolgen in ein goldenes Jahrzehnt. Zweimal zieht der kleine ESV Kaufbeuren in die Vorschlussrunde um die deutsche Meisterschaft ein, sechsmal ins Viertelfinale. Einer ist immer dabei, einer zählt ausnahmslos zu den Leistungsträgern, einer gehört stets zum Fundament, auf dem das Mannschaftsgefüge aufbaut: Manfred Schuster. Spielstark, technisch beschlagen, zuverlässig, konsequent in der Defensive, genial im Aufbau, torgefährlich, omnipräsent. Der Turm in der Schlacht. Er aber sagt: „Wir waren eine Einheit und das wahre Geheimnis unseres Erfolges lag in der mannschaftlichen Geschlossenheit.“

Sechstes Bild. Manfred Schuster mit dem Bundesadler auf der Brust. Ostermontag fünfundachtzig. Eishalle im Münchner Olympiapark. Weit mehr als ein Freundschaftsspiel. Denn: die Russen kommen. Gespickt mit legendenumwobenen Namen. Wjatscheslaw Fetisow, Alexej Kasatonow, Wladimir Krutow. Im Gepäck fünfundfünfzig Siege aus fünfundfünfzig Spielen gegen die deutsche Nationalmannschaft. Darunter Klatschen von zyklopischen Ausmaßen. Die Sowjets sind ein aus gewaltigen individuellen Könnern zusammengesetztes Kollektiv. Das Nonplusultra des Welteishockeys. Weshalb auch diesmal die Sache von vornherein klar scheint. Die Partie aber entwickelt eine Eigendynamik, die niemand voraussehen konnte. Am Ende trotzt das deutsche Team der übermächtigen Sbornaja ein 3:3 ab. Ein historischer Tag, der in die Geschichtsbücher des deutschen Eishockeysports eingeht. Und sage und schreibe vier Kaufbeurer, die ihren Heimatverein soeben ins Halbfinale der Bundesliga geführt haben, schreiben dabei ganz kräftig mit. Horst Heckelsmüller, der auch den Sowjets ein Tor einschenkt und zudem Franz Reindl den Endstand auflegt. Didi Hegen, der ebenfalls seine Bude macht. Manfred Schuster und Dieter Medicus, die hinten entschlossen aufräumen. Gegen das Who-is-who des Welteishockeys.

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Siebtes Bild. Sechsundachtzig. Der kleine Eissportverein von der Wertach stürmt an die Bundesligaspitze. Aus dem Allgäu schwappt eine Welle der Begeisterung über ganz Eishockeydeutschland. Die Zuschauerrekorde purzeln. Der Berliner Platz wird zum Tempel, in den Eishockeyfreunde von weit her pilgern. Woche für Woche überschreitet die Stadionstimmung den Siedepunkt. Das hat auch mit den innovativen Ideen des Kapitäns und seiner Freunde zu tun. Sie sind mehr als bloß Spieler. Organisieren, zeigen Mitverantwortung, setzen Vorschläge um. Im Hintergrund, versteht sich. Ohne viel Aufhebens davon zu machen.

Achtes Bild. Groß ist die Konkurrenz um die wenigen Plätze in der Abwehr der deutschen Nationalmannnschaft. Bundestrainer Xaver Unsinn aber respektiert die überragenden Leistungen der beiden Kaufbeurer Dieter Medicus und Manfred Schuster. Immer wieder beruft er sie zu großen Turnieren. Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Iswestija Pokal. Und er adelt sie mit dem Sprachbild von der Kaufbeurer Stadtmauer. In ihm steckt ein Höchstmaß an Anerkennung. Es wird die Zeit überdauern.

Neuntes Bild. Das Jahr neunundachtzig. Es bringt den Absturz aus dem heiteren Himmel des goldenen Jahrzehnts. Viele aber stellen sich der Verantwortung. Auch die zur Institution gewordenen Nationalspieler gehen den bitteren Weg in die Knochenmühle der Zweitklassigkeit mit. Um ihn unverzüglich zu bewerkstelligen, den sofortigen Wiederaufstieg, der dann auch tatsächlich vor der Tür steht. Bis zu jenem denkwürdigen achten April des Jahres neunzig, als in dem unvergessenen Drama gegen Freiburg die Welt aus den Fugen gerät. Noch heute sehe ich sie auf dem Eis knien, die alten Recken. Ausgepumpt. Maßlos enttäuscht. Am Boden zerstört. Sie haben alles gegeben. Sich bis zur Erschöpfung verausgabt. Das Scheitern auf der Ziellinie schmerzt niemanden mehr als sie.

Zehntes Bild. Jahrzehnte sind ins Land gegangen. Ein Zitat. Von einem, der es wissen muss. „Manfred ist ein wunderbarer Freund“, sagt der hundertfache Internationale Dieter Medicus, „ich erinnere mich sehr gerne an unsere nationalen und internationalen Auftritte. Er war der filigranere, technisch versiertere Spieler, während ich eher das körperliche Spiel betonte. Wir verstanden uns blind und ergänzten uns super. Das brachte uns den Spitznamen Kaufbeurer Stadtmauer ein und ich kann sagen, dass sie weiterhin steht, die Mauer, denn wir spielen mit großem Vergnügen zusammen in der Seniorenmannschaft des ESVK. Ich wünsche mir noch viele gemeinsame Jahre auf dem Eis.“ Rot und gelb, das sind und das bleiben auch die beiden Jahrhundertverteidiger ein Leben lang.

Elftes Bild. Das Kaufbeurer Eishockey steht am Abgrund. Weil das altehrwürdige Stadion am Berliner Platz gesperrt wird und die Bürger in einem Ratsbegehren über einen Neubau abstimmen werden. Als nebulöse Kräfte die Stimmung in der Stadt zu drehen versuchen, steht mit einem Mal alles auf dem Spiel. Die Halle, die Zukunft, der Eissportverein. Die Kaufbeurer Eishockeyfamilie aber steht zusammen. Sie nimmt den dramatischen Kampf an. Auch die Schusters. Vater Luggi erhebt seine Stimme gemeinsam mit den betagten Urgesteinen aus der Gründerzeit. Sohn Manfred bringt sich federführend und weitsichtig mit seiner Generation in den demokratischen Prozess ein. Die Schusters, eine Kaufbeurer Eishockeyfamilie, die den ESVK im Herzen trägt.

 

Manfred Schuster

Geboren: 14. Februar 1958 in Kaufbeuren
Körpergröße: 186 cm
Rückennummer: #3
Position: Verteidiger

Erste Mannschaft des ESVK:
1976 bis 1990 (davon zehn Jahre Bundesliga), langjähriger Kapitän

Bundesliga:
560 Spiele, 127 Tore, 188 Assists für den ESV Kaufbeuren, den Kölner EC und den EC Hedos München

Mitglied im Kaufbeurer All-Star-Team des 20. Jahrhunderts:
Erich Weishaupt – Manfred Schuster, Dieter Medicus – Vladimir Martinec, Dieter Hegen, Bohuslav Stastny. – Jahrhunderttrainer: Florian Strida.

Größte Erfolge mit dem ESVK:
Zweimal Halbfinale um die deutsche Meisterschaft (1984 und 1985), sechsmal Viertelfinale (1981, 1982, 1983, 1986, 1987, 1988), zweimal Zweitligameister (1977 und 1980)

International:
76 Länderspiele für die BR Deutschland, Olympische Spiele 1988 in Calgary, Weltmeisterschaften 1985, 1986 und 1987, Iswestija Pokal 1987

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Text: Manfred Kraus, Apfeltrach
Grafik: Manuel Ort

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