Italienische Nächte am Berliner Platz

Vor zwanzig Jahren eroberten fünf Italiener die Kaufbeurer Eishockeyherzen


Geschrieben von

Von Manfred Kraus

Das Feuer in den Augen des italienischen Fußballtorwarts Gianluigi Buffon lässt mich an Luigi Guidotti denken, der in dem abgeschiedenen toskanischen Bergnest Valgiano einen winzigen Alimentari führt und die genügsamen Dorfbewohner mit dem Allernötigsten versorgt. "Bei uns haben die Leute nur den Calcio im Kopf", bedeutete mir der freundliche alte Mann mit dem silbergrauen Haar unter Zuhilfenahme seiner Hände und Füße, als ich ihn im vorletzten Sommer beim morgendlichen Paninikauf mit meiner Frage nach dem Eishockey überrascht hatte, "der Fußball bestimmt das Leben und je weiter man in den Süden gelangt, umso heißblütiger werden die Tifosi. In Milano, der Himmel weiß warum, und vor allem droben im Norden begeistern sich die Menschen aber auch für das Hockey."

Die Italiener sind fußballverrückt. Sie brennen für den Calcio, dem der Stiefel gehört. Der Kampf um die kleine Hartgummischeibe kann da nur eine bescheidene Nebenrolle spielen. Im Grunde genommen ist das Eishockey eine oberitalienische Angelegenheit. Seine Hochburgen stehen in Südtirol, im Trentin und in Venetien, wo sich der schnelle Sport zwar auch unterordnen muss, aber unübersehbar Leidenschaft weckt. Lediglich das Piemont hat mit Pokalsieger HC Valpellice heuer noch ein Mitglied in die Serie A entsandt und eine Klasse tiefer mischten aus der Lombardei Hockey Milano Rossoblu, das neuerdings den seit 1925 serienweise Meister hervorbringenden Traditionsstandort Mailand repräsentiert, der HC Chiavenna und der HC Varese mit.

Just von dort aber waren 1996 die beiden bei der Weltmeisterschaft in Wien beeindruckend auftrumpfenden Nationalspieler Stefano Figliuzzi und Maurizio Mansi aufgebrochen, um jenseits des Alpenhauptkammes die Eishockeyherzen zu erobern, und sie hatten Dino Felicetti vom SHC Fassa, Agostino Casale vom HC Gröden und John Porco von Asiago Hockey gleich mit an die Wertach gebracht. "Ich weiß noch gut", erinnert sich der Mindelheimer Jörg Schöllhorn, "wie wir ins Fassatal kamen und ich meiner Frau stolz erklärte, dass einer unserer Kaufbeurer Spieler von dort ins Allgäu gekommen sei. Der pfeilschnelle Dino Felicetti war das. Er ist mir ebenso im Gedächtnis geblieben wie der bullige Außen Mo Mansi, der das Spiel machen konnte und später als Trainer an die Kaufbeurer Bande zurückkehrte."

Das unerschrockene Quintett stammte ursprünglich aus Kanada. Es war Jahre zuvor wegen seiner italienischen Wurzeln über den Großen Teich gekommen, um im Zuge einer massiven Verpflichtungswelle von Cracks mit doppelter Staatsbürgerschaft Eishockey in der Heimat der Vorväter zu spielen. Das italienische Hockey verfügt seit jeher über wesentlich weniger Nachwuchsspieler als das deutsche und es wird seit seinen Anfängen entschieden von den Oriundi geprägt. Auch in den achtziger und neunziger Jahren steigerten die ins Land der Ahnen heimkehrenden Italokanadier die Qualität des nationalen Vereinseishockeys und zudem hoben sie auch die von ihnen weitgehend abhängige Nationalmannschaft auf ein sichtbar höheres Niveau. Natürlich fiel es den Vereinen schwer, sich dem Kaufrausch zu entziehen, wenn sie oben mitmischen wollten, manche aber verweigerten sich dennoch. Der HC Gröden etwa verschloss sich 1986 bewusst der Entwicklung und er stieg freiwillig ab, um erst sechs Jahre später wieder in die Serie A zurückzukehren.

Hierzulande hatte der Mannheimer ERC die Lawine mit importierten Deutschkanadiern 1978 losgetreten. Die Badener waren unter dem Trainernovizen Heinz Weisenbach als Zweitligavizemeister in die Bundesliga aufgestiegen. Anschließend hatte der gebürtige Füssener einen Flugschein nach Toronto gelöst, um sich in Stadien, auf Auswanderertreffen und mithilfe von Zeitungsinseraten nach deutschstämmigen Eishockeyakteuren umzuschauen. Sechs Wochen später hatte er auf dem Heimflug ein Dutzend Optionen im Gepäck und schon 1980 holte sich der in starkem Maße kanadisch geprägte MERC die Meisterschaft, welche von Landshuts Kapitän Alois Schloder seinerzeit als Schande für das deutsche Eishockey bezeichnet wurde.

Schon damals entzündete sich in Deutschland eine hitzige Debatte über die Vernachlässigung des eigenen Nachwuchses aufgrund des Zuzugs aus dem Ausland. Hatte Heinz Weisenbach noch eine Marktlücke weidlich ausgenutzt, geriet die zunehmend fragwürdigen Pfaden folgende Herstellung von Verwandtschaftsbeziehungen zum Zwecke der Eindeutschung alsbald ins Zwielicht, sodass schließlich das Wort vom als Abstammungsnachweis ausreichenden deutschen Schäferhund die Runde machte. Seither hat die Einbürgerungswelle mitunter abenteuerliche Züge angenommen.

Mitte der Neunziger lagen die Dinge anders. Aus der Bundesliga war 1994 die Deutsche Eishockey Liga geworden und die junge DEL schickte sich nach anfänglicher Mäßigung an, sukzessive alle Kontingentbeschränkungen über Bord zu werfen. Massiv beschleunigt hatte diese Entwicklung das bahnbrechende Bosmanurteil, das für Spieler aus der Europäischen Union, aber auch für Nordamerikaner mit europäischen Vorfahren sämtliche Türen weit aufstieß. Die Situation war vertrackt, denn das Bosmanurteil glich einem zweischneidigen Schwert. Allein im Sommer 1996 drängten etwa einhundert Spieler aus EU-Staaten in die Deutsche Eishockey Liga, die ihr Gesicht grundlegend veränderte. Als anschauliches Beispiel können die Frankfurt Lions dienen. Sie verpflichteten gleich sechs finnische Hochkaräter, um unter Coach Pentti Matikainen die Meisterschaft an den Main zu holen. Selbstverständlich brachte die gesamte Entwicklung zwangsläufig zusätzliche Klasse in die Liga und darüberhinaus bestand die Hoffnung, dass die Gesetze der Marktwirtschaft die Gehälter aufgrund des hohen Spielerangebots nach unten drücken würden. Besorgniserregende Nebenwirkungen aber konnten nicht ausbleiben, denn die neuen Bedingungen hatten erhebliche Auswirkungen auf die deutschen Spieler und auf die Nationalmannschaft, was indessen von der Deutschen Eishockey Liga und vom Deutschen Eishockey Bund ganz unterschiedlich bewertet wurde. Während der DEL-Beiratsvorsitzende Bernd Schäfer III in dem gesteigerten sportlichen Niveau für den deutschen Nachwuchs Anreize zu einer Verbesserung der eigenen Ausbildung erkennen wollte, befürchtete DEB-Präsident Rainer Gossmann einen dramatischen Rückgang des Anteils deutscher Spieler und er verband mit der neuen Situation die Sorge, dass selbst Vereine mit nachweislich guter Nachwuchsabeit nunmehr eher auf europäische Ausländer als auf junge Eigengewächse bauen könnten.

Für die alsbald über das deutsche Eishockey hereinbrechende Flut von Spielern aus aller Herren Länder können die Konsequenzen aus dem einschneidenden Bosmanurteil als Begründung aber nur bedingt herangezogen werden, denn schon 1997 schaffte die in ihren Kinderschuhen steckende DEL, die unter dem Dach des mit ihr heillos zerstrittenen Deutschen Eishockey Bundes die Selbstverwaltung probte, als erste deutsche Profiliga aus freien Stücken jegliche Reglementierung ab. Die überschwemmten Mannschaften büßten als Legionärssammelbecken an Gestalt ein, die Identifikation der Anhänger mit ihren Vereinen litt, Bindungen gingen verloren und nicht zuletzt versetzte das Brechen aller Dämme auch dem einheimischen Nachwuchs einen weiteren Keulenschlag.

Anno sechsundneunzig waren aber noch nicht alle Schleusen geöffnet. Zwar stellten auch die wirtschaftlich gebeutelten Kaufbeurer Adler schon einen bunt zusammengewürfelten Haufen dar, sie bauten aber auch noch mit Nachdruck auf identitätsstiftende Eigengewächse wie Torwart Marc Pethke und Abwehrrecke Jürgen Simon sowie auf altbewährte Haudegen vom Schlage eines Daniel Kunce und des frischgebackenen Weltmeisters Drahomir Kadlec, denen sie einen durchschlagskräftigen Klassestürmer wie den für wohl wenig Geld aus dem kanadischen Nationalteam verpflichteten Derek Cormier zur Seite stellten. Daneben spielte man an der Wertach zu aller Überraschung die italienische Karte. Das erstaunte, doch erwiesen sich die fünf Azzurri im besten Eishockeyalter auf Anhieb als Volltreffer, die nicht nur die Kaufbeurer Adler sichtlich bereicherten, sondern auch der DEL ihren Stempel aufzudrücken vermochten. Der brandgefährliche Vollstrecker Stefano Figliuzzi, der geniale Vorbereiter Dino Felicetti, das listige Schlitzohr Maurizio Mansi, der begnadete Kämpfer John Porco und der harte Arbeiter Agostino Casale kamen, sahen und siegten. Entzückt rieb sich das Kaufbeurer Publikum die Augen, wenn die spielstarken Italiener leidenschaftlich ihr einsatzfreudiges und gedankenschnelles Herzbluthockey zum Vortrage brachten, und es dauerte nicht lange, ehe sich auf den Tribünen in die rotgelben Vereinsfarben das italienische Grünweißrot mischte. Schon bald wurde Italiens Flagge zum vertrauten Begleiter bei den Adlerheimspielen. Forza Italia am Berliner Platz.

Hals über Kopf schloss die Kaufbeurer Anhängerschaft die fünf Neuzugänge vom Stiefel in ihr großes Allgäuer Eishockeyherz. "Stefano Figliuzzi war ein wahnsinniger Techniker", schwärmt Fan und Gesellschafter Thomas Petrich aus Apfeltrang, "der Italienersturm wirbelte mit seinem schnellen und technisch versierten Spiel die ganze Liga durcheinander." Dr. Bernhard Lehmann, ein profunder Kenner des Kaufbeurer Eishockeys, der schon seit 1959 zum ESVK geht und seit über fünfunddreißig Jahren zu jedem Heimspiel aus Gersthofen anreist, stößt ins gleiche Horn: "Stefano Figliuzzi und Dino Felicetti, das waren wahre Künstler. Ingeniöse Spielkunst gepaart mit großartiger Stocktechnik und einmaligem Antizipationsvermögen. Maurizio Mansi, ein Schalk auf dem Eis, der ein Spiel alleine drehen konnte und immens wertvoll in Unterzahl agierte, hinzu der bullige Agostino Casale und der unermüdlich rackernde John Porco, für den wie seinerzeit für Beppo Riefler keine Drecksarbeit zu viel war. Lediglich der legendäre Derek Cormier drängte sich in der internen Scorerliste auf Platz drei zwischen die Italiener, bei deren Verpflichtung Trainer Tom Coolen ein gutes Händchen bewies."

Mit ihrem Spielwitz, ihrer Kampfkraft und ihrer Ausstrahlung setzten Kaufbeurens Italiener in der Liga sichtbare Akzente und auch ihr eindrucksvoller Scoringtouch stach ins Auge. Stefano Figliuzzi etablierte sich mit 29 Toren und 28 Assits unter den besten Torschützen der DEL, während sich Dino Felicetti mit 15 Treffern und 43 Beihilfen als Vorlagengeber einen Namen machte. "Unsere Italiener waren mit Herzblut bei der Sache. Mo Mansi, Stefano Figliuzzi, Dino Felicetti und Agostino Casale waren ja schon Nationalspieler, als sie zu uns kamen, eine große Bereicherung stellten aber alle fünf dar. Es machte Riesenspaß ihnen zuzuschauen. Sie haben auch uns Fans viel gegeben", entsinnt sich Günther Simon, der seinem ESVK seit Ende der Sechziger die Treue hält, mit einem Lächeln auf den Lippen und der Kaufbeurer weiß auch noch eine kleine Anekdote zum Besten zu geben: "John Porco ließ seinen Namen ändern. In Kanada hatte es keine große Rolle gespielt, dass er Porco hieß, nun fiel die italienische Wortbedeutung aber ins Gewicht. Porco heißt nämlich Schwein. Deshalb benannte er sich in John Parco um."

Ausgerechnet dieser John Porco hatte es auch dem langjährigen Rotgelben Wolfgang Mittner angetan. Der Kaufbeurer paddelte anno sechsundneunzig im slowenischen Socatal durchs Wildwasser, als die Adler im benachbarten Bled ihr Sommertrainingslager aufschlugen und zu Freundschaftsspielen gegen den ortsansässigen Klub sowie gegen den Kärntner Traditionsverein Klagenfurter AC antraten: "Als ich unseren Lastminuteneuzugang John Porco in Bled erstmals im Adlertrikot zu Gesicht bekam, betrachtete ich ihn als reinen Ergänzungsspieler, doch dann wurde er wegen seiner bedingungslosen Einsatzbereitschaft ganz schnell nicht nur zu meinem Lieblingsspieler, sondern zu einem der großen Kaufbeurer Publikumslieblinge. Was hatten wir mit ihnen doch für tolle Spieler."

Auch innerhalb der Mannschaft fanden die fünf italienischen Neuzugänge sogleich regen Anklang. Nationalspieler Hans-Jörg Mayer, der heute bei seinem Bruder Christian in Kaufbeurens ältester Schreinerei arbeitet, findet nur lobende Worte: "Wir hatten damals ein sehr nettes Team beieinander und unsere fünf Italiener waren nicht nur ausgezeichnete Eishockeyspieler, sondern auch überaus beliebt. Ich bin mit ihnen richtig gut ausgekommen. Sie verkörperten ja einen ganz neuen Trend, waren sehr schnell und kompakt. Jeder von ihnen hatte aber auch noch seine eigenen Stärken. Stefano Figliuzzi besaß eine überragende individuelle Klasse, John Porco war ein unwahrscheinlicher Kämpfer." Die Berührungspunkte erschöpften sich indessen nicht auf dem Eis und noch immer spricht viel Sympathie aus Hans-Jörg Mayers Worten, wenn er von seinem Aufenthalt in Kanada erzählt. Gemeinsam mit Roland Timoschuk besuchte er Mannschaftskamerad Stefano Figliuzzi in Montreal, um bei ihm zu urlauben. Teambuilding im Stile der neunziger Jahre.

Die dritte Saison der Deutschen Eishockey Liga verlief für die Kaufbeurer Adler jedoch alles in allem durchwachsen. Während sich die wirtschaftliche Bilanz zusehends verschlechterte und das Ansteigen des Schuldenberges nicht verhindert werden konnte, hielt sich auch der sportliche Erfolg in Grenzen. Obwohl die Mannschaft neben Tiefen auch Höhen erlebte, schluckte sie ligaweit die meisten Gegentore. Schließlich landete sie im Sechzehnerfeld auf Tabellenplatz dreizehn, um dann aber im Abstiegskampf buchstäblich zu explodieren. In einer berauschenden Playdownserie sorgten Tom Coolens Mannen gegen den ursprünglich hochgehandelten Titelaspiranten Frankfurt Lions für einen sensationellen Ausklang. Die entfesselt aufspielenden Adler überrannten die Startruppe aus Hessen mit 2:3 n.V., 6:3, 3:4 n.V., 6:3, 5:2, 4:1 und sie sicherten dem krassen Außenseiter aus dem Allgäu den vorzeitigen Klassenerhalt in der DEL, die den unabdingbar zur deutschen Sportkultur gehörenden Auf- und Abstieg auf Drängen der Fans wieder eingeführt hatte.

Trotz des guten Endes war am Berliner Platz aber beileibe nicht alles gut. Auf seine fünf Italiener hatte man sich in Kaufbeuren indessen stets verlassen können und sogar im Fragment der folgenden Seuchensaison waren sie Lichtblicke in einer durch die völlige Freigabe aller Kontingentbeschränkungen entfremdeten Mannschaft, in der selbst der russische Weltmeister Sergej Schendelew und der kanadische Stanley-Cup-Gewinner Frank Pietrangelo keine Zeichen mehr zu setzen vermochten, denn schon nach nur fünfzehn Begegnungen erzwang die Ligenleitung den Rückzug der schwer angeschlagenen Adler aus dem laufenden Wettbewerb. Die finanzielle Abwärtsspirale hatte sich gnadenlos gedreht und das wirtschaftliche Fundament war erodiert, die DEL machte aber auch keinen Finger krumm, um die abstürzenden Adler in der Liga zu halten. Ihre To-do-Liste sah dafür keinen Platz vor.

Zurück blieben Fragezeichen. Zweifellos hatten die gravierenden Geldsorgen die in Schieflage geratenen Adler in existenzielle Nöte gebracht, doch hält sich an der Wertach bis heute hartnäckig das Gerücht, dass man Kaufbeuren nicht mehr unbedingt in der DEL haben wollte. Die tatsächlichen Geschehnisse um die Bruchlandung der Adler verschwimmen in einem undurchdringlichen Nebel und wir werden die ganze Wahrheit wohl niemals erfahren, aber selbst die Spieler hatten nie und nimmer mit dem jähen Lizenzentzug gerechnet. "Das Ende kam plötzlich und überraschend", erinnert sich der wieselflinke Stürmer Hans-Jörg Mayer, "wir hatten zwar mitbekommen, dass es ein paar Probleme geben würde, aber das waren nur vage Andeutungen. Wir hatten nicht viel, nichts Konkretes und schon gleich gar nichts derartig Dramatisches gehört. Als wir dann zum Auswärtsspiel nach Berlin reisten, hieß es plötzlich, das sei unsere letzte Fahrt."

Der Zusammenbruch traf die Kaufbeurer Anhängerschaft in Mark und Bein. Damit umzugehen, fiel schwer. Die Auswirkungen beschäftigten jeden auf seine Weise. "Das Ende der Adler liegt wie Blei auf meinen Erinnerungen. Wochenlang habe ich mich über die DEL aufgeregt, denn uns Fans war lange gar nicht klar, warum und wie das eigentlich geschehen konnte. Beim Versuch, diese Katastrophe zu verdrängen, habe ich ein Stück weit wohl auch das Sportliche rund um diese Zeit verdrängt", fasst der Kaufbeurer George J. King seine anhaltende Beklemmung in Worte, um dann aber doch noch andere Gedanken an eine aufwühlende Zeit zuzulassen. "Natürlich weiß ich nur allzu gut, wie großartig unsere Italiener waren. Gerade die Spieler konnten ja nun gar nichts für das Ende. Wir erwarteten dank ihrer starken Leistungen eine gute Saison und standen auf einmal vor dem Nichts."

Sanft sinkt die Dämmerung herab auf den lauen Abend. Die Squadra Azzurra hat soeben im Stade de France das Rasenschach der spanischen Furia Roja aus dem Europameisterschaftsturnier geworfen und das leidenschaftliche Leuchten in den Augen des Fußballtorwarts Gigi Buffon begleitet mich hinaus auf die Terrasse und hinein in die Vergangenheit. Auch mir träufelt der Sturzflug der Adler Bitternis in die Erinnerungen. Sie bewegen mich noch immer, die Eishockeyjahre sechsundneunzig und siebenundneunzig. Gedankenverloren entkrone ich eine Flasche kühles Birra Moretti. Ich habe sie mir für einen besonderen Augenblick aus dem Land, wo die Zitronen blühen, mit nach Hause genommen. Zwanzig Jahre ist das schon wieder her, dass fünf Italiener über das Kaufbeurer Eis fegten und auf den Tribünen begeistert grünweißrote Fahnen geschwenkt wurden. Zwanzig Jahre. Trotzdem sind sie mir plötzlich wieder ganz nah, die heißen italienischen Nächte am Berliner Platz. Der ergraute Toskaner Luigi Guidotti aus dem einsamen Bergnest Valgiano hat sich getäuscht. Italien ist weit mehr als nur der Calcio. Zumindest im Allgäu hegt man daran keinen Zweifel.

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